Bettina Stange kam 1980 eher zufällig über einen „Schwesternhelferkurs“ zur professionellen Pflege – und blieb. Ihr Weg ist geprägt von ständiger Weiterentwicklung: Pflegedienstleitung, ein Studium der Sozialgerontologie und schließlich der Masterabschluss zur Community Health Nurse (CHN), den sie mit 64 Jahren absolvierte. Heute arbeitet sie im Integrierten Gesundheitszentrum Marzahn-Hellersdorf (IGZ) in Berlin als CHN und erzählt im Interview von ihrer Motivation, ihrem Rollenverständnis und den Bedingungen, die es braucht, damit CHN wirksam werden können.
DBfK aktuell: Dein Lebenslauf zeigt viel Bildungs- und Berufsentwicklung. Was hat dich besonders am Masterstudium zur CHN gereizt?
Bettina Stange: Mich hat vor allem die Kombination aus Public Health, Gesundheitsförderung und klinischen Kompetenzen begeistert. Die Rolle der CHN füllt eine Lücke in der Versorgung. Dank der Förderung durch die Robert Bosch Stiftung konnte ich mir das Studium leisten, auch wenn es neben meiner Vollzeittätigkeit als Pflegedienstleitung herausfordernd war. Trotz der noch unklaren Rahmenbedingungen für CHN in Deutschland hat sich diese Ausbildung für mich absolut gelohnt.
Wo arbeitest du jetzt?
Ich bin seit einigen Wochen im Integrierten Gesundheitszentrum Marzahn-Hellersdorf vom DRK-Kreisverband Berlin-Nordost e. V. als CHN tätig. Momentan baue ich meine Rolle auf, dazu gehört vor allem Netzwerkarbeit, damit unser Angebot bekannt wird. Ich mache Hausbesuche, analysiere die Lebensumfelder im Kiez und biete Sprechstunden an – bei Bedarf auch außerhalb der regulären Praxiszeiten, damit Berufstätige ebenfalls erreicht werden.
Was gehört noch zum Aufbau deiner Rolle als CHN vor
Ort?
Neben der Vernetzung im IGZ spreche ich gezielt die Arztpraxen im Umfeld an, um Kooperationen aufzubauen und bekannt zu machen, welche Leistungen wir bieten. Außerdem schaue ich mir bestehende Strukturen an, prüfe, was schon gut läuft, und wo noch Lücken sind. Dabei ist auch der Austausch mit der Kommune wichtig.
Wer nutzt euer Angebot?
Häufig werden Menschen von Netzwerkpartner:innen auf uns aufmerksam gemacht, wenn sie Unterstützung brauchen – zum Beispiel bei Arztterminen, Pflegeanträgen oder beim Umgang mit chronischen Erkrankungen. Marzahn-Hellersdorf hat viele Menschen in prekären Lebenslagen, darunter Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen, weit verbreitet sind auch Adipositas und Diabetes. Oft fehlt es an Gesundheitskompetenz, hinzu kommen sprachliche Barrieren. Kürzlich habe ich eine ukrainische Familie unterstützt, deren Sohn eine Rehamaßnahme brauchte. Mithilfe unseres Übersetzungsgeräts konnten wir uns gut verständigen und alles gemeinsam organisieren.
Kannst du ein Beispiel geben, wie deine Arbeit
konkret aussieht?
Oft geht es um Prävention und Gesundheitskompetenz. Viele Menschen hier haben Übergewicht oder Diabetes. Gemeinsam überlegen wir, was im Alltag möglich ist, um gesünder zu leben. Zum Beispiel analysiere ich die Einkäufe einer Familie und berate zu gesünderen Alternativen. Oder ich kläre darüber auf, dass Fruchtsäfte zwar gesund wirken, aber Zuckerbomben sein können. Schritt für Schritt lassen sich so Verhaltensänderungen anstoßen.
Warum ist die Zusammenarbeit mit der Kommune so
wichtig?
Wenn ich Risiken einschätze, gehört dazu auch die Wohnsituation. Lebt jemand in einer überhitzten Wohnung? Gibt es schattige Orte im Umfeld? Prävention bedeutet eben nicht nur individuelles Verhalten, sondern auch gesundheitsfördernde Lebensbedingungen. Dafür braucht es den engen Austausch mit der Kommune, um Verbesserungen anzustoßen.
Warum ist für diese Aufgaben speziell eine CHN nötig?
Weil wir als Pflegefachpersonen den Menschen in allen Facetten betrachten können: Wie geht er mit seiner chronischen Erkrankung um, welche Risiken bestehen, welche Präventionsmaßnahmen sind sinnvoll? Und ist eine gezielte Versorgungsplanung erforderlich? Als CHN sind wir befähigt durch den Public-Health-Ansatz und die Sozialraumorientierung Versorgungslücken und Gesundheitsrisiken im kommunalen Bereich zu identifizieren und Bedarfe zu evaluieren. Außerdem haben wir erweiterte klinische Kompetenzen erworben, die wir bei Hausbesuchen oder in der Sprechstunde einsetzen können.
Was müsste sich verändern, damit CHN ihr
Potenzial entfalten können?
Wir brauchen endlich die Erlaubnis zur Ausübung von Heilkunde. Es ist nicht sinnvoll, für jede Wundversorgung, Hilfsmittelverordnung oder Medikamentenanpassung – beispielsweise bei Hitze – eine ärztliche Anordnung einzuholen, obwohl wir die Kompetenz haben. Das kostet Zeit für alle Beteiligten. Außerdem müssen wir weg von befristeten Projekten. Die Wirksamkeit von CHN ist belegt – jetzt braucht es eine dauerhafte Basis und eine gesicherte Finanzierung.
Sommer School Community Health Nursing in Dresden:
Vom 11. bis 13. September lädt die Evangelische Hochschule Dresden (EHS) gemeinsam mit der Agnes-Karll-Gesellschaft im DBfK und gefördert vom Bosch Health Campus der Robert Bosch Stiftung zur bundesweit ersten Summer School Community Health Nursing auf dem ehs-Campus ein. Fachvorträge, Workshops und Diskussionsrunden sind geplant.