Dr. Andreas Büscher ist Professor für Pflegewissenschaft an der Hochschule Osnabrück und Wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Zu seinen Schwerpunkten gehören unter anderem die Qualitätssicherung in der Pflege und die Langzeitpflegesysteme. Wir haben mit ihm über Pflege und Ökonomie gesprochen.
Zunächst einmal ganz allgemein gefragt: Welche ökonomischen Dimensionen hat Pflege?
Andreas Büscher: Man kann sich dieser Frage aus drei Richtungen zuwenden. Erstens kann man fragen, was Pflege kostet. Wenn Pflege nur als Kostenfaktor im Gesundheitssystem dargestellt wird, sage ich immer: „Gut, dann entlassen wir alle und das Problem ist gelöst.“ Dann wird schnell klar, dass Pflege einen Wert hat und nicht bloß Kostenfaktor ist. Die zweite Näherung fragt nach dem Wert von Pflege. Der ist tatsächlich nicht leicht zu beziffern. Für die Menschen mit Pflegebedarf gibt es einen hohen ideellen Wert guter Pflege. Ein Preis-Leistungsverhältnis haben aber die meisten Menschen nicht im Kopf, wenn sie den Wert von Pflege beziffern sollen. Die dritte Frage dreht sich um die Refinanzierung von Pflege. Also wer erhält Pflegeleistungen und was wird
refinanziert.
Beginnen wir mit dem Wert von Pflege. Warum ist er so schwer zu beziffern?
Der Nutzen von Pflege ist methodisch schwer berechenbar, da man zwar sagen kann, was Pflege aktuell kostet, aber das „Was wäre wenn“ kann ich nicht sicher bestimmen. Das ist exemplarisch, da Pflege ganz oft Dinge abwendet: Komplikationen, eine Verschlechterung des Gesundheitszustands
oder eine Abnahme der Selbständigkeit zum Beispiel. Diese Folgen ausbleibender Pflege kann man aber nicht als Alternative zum Normalzustand verstehen und miteinander verrechnen. Hinzu kommt, dass der finanzielle Nutzen und die getätigten Investitionen nicht bei einer Institution liegen. Der ambulante Pflegedienst investiert Können und Zeit der Mitarbeitenden. Den finanziellen Nutzen ausbleibender Komplikationen hat aber vor allem die Krankenkasse, die eben keine Hüftoperation bezahlen muss, weil der Mensch in der Häuslichkeit nicht stürzt.
Gute Pflege lohnt sich also in dem bestehenden System finanziell nicht für diejenigen, die sie leisten?
Die
Ziele guter Pflege, also Gesundheit zu erhalten oder wiederzuerlangen,
Unterstützung bei selbstständiger Lebensführung etc. sind für die
Menschen, die Pflege erhalten, wichtig. Für die Pflegedienste lohnen
sich ökonomisch jedoch nur die Leistungen, die von den Kassen
refinanziert
werden. Es findet hier allerdings gerade ein Wandel
statt, da wir Pflegepersonalnot haben. Das Interesse daran, dass
Menschen möglichst lange selbstständig und ohne Pflegebedarf in der
Häuslichkeit leben, steigt. Das ist aber in der Refinanzierungslogik
noch nicht angekommen.
Gibt es denn einen Ausweg daraus?
Dafür müssen
wir auch über den ökonomischen Wert von Pflege sprechen und wir müssen
Pflegefachpersonen zutrauen, dass sie Probleme aufgrund ihrer
Kompetenzen lösen können. Die Steuerung des Pflegeprozesses gehört zu
allen Pflegesituationen und pflegerischen Maßnahmen. Das ist das
Kernstück unserer Arbeit und wird aktuell nicht refinanziert. Hier ist
ein Wandel in der Refinanzierung notwendig. Dies könnte beispielsweise
über eine Pauschale für die Steuerung und Gestaltung des Pflegeprozesses
oder in der Refinanzierung von Fachleistungsstunden abgebildet werden.
Allerdings tun wir uns in der Pflege noch schwer, deren finanziellen
Gegenwert zu beziffern.
Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
Die
Verrichtungslogik der Pflegefinanzierung hat zu einem Schaden geführt,
indem sie die Realität der Pflege bestimmt: Nur das, was refinanziert
wird, ist möglich. Das führt dazu, dass leistungsrechtlich nicht
abgebildete Möglichkeiten gar nicht empfohlen werden und Pflegende ihre
Kompetenzen in diesem Bereich nicht weiterentwickeln. Dies verstärkt den
Eindruck, dass die Pflege das Problem nicht lösen kann und führt zu
einer Deprofessionalisierungsspirale. Die Erweiterung von Kompetenzen,
wie beispielsweise die Verordnung von Hilfsmitteln, könnte das Zutrauen
in die Pflege langsam wiederherstellen.
(AKH)