DBfK aktuell - September 2025

„Schmerzen niemals übergehen“

Susanne Marquardt ist Co-Sprecherin der Fachgruppe Schmerz im DBfK. Im Interview erklärte sie, wie man Pflegeexpertin für Schmerz werden kann, was die Pflege von Menschen mit Schmerzen auszeichnet und womit sich die Fachgruppe beschäftigt.

DBfK aktuell: Sie sind Pflegeexpertin für Schmerz. Wie hat sich Ihr beruflicher Weg entwickelt?
Susanne Marquardt: Ich habe 2002 mein Examen als Krankenschwester gemacht und zunächst viele Jahre in der Anästhesie- und Intensivpflege gearbeitet. Dort habe ich auch die zweijährige Fachweiterbildung absolviert. Anschließend habe ich die Zusatzqualifikation als Praxisanleiterin erworben und ein Bachelorstudium in Angewandte Pflegewissenschaft abgeschlossen. Zurzeit studiere ich im Masterstudiengang Pflegewissenschaft an der Universität Freiburg. Besonders prägend war für mich 2009 die Weiterbildung in Spezieller Schmerzpflege – damals noch „Pain Nurse“ – und seither ist das Thema Schmerzmanagement mein berufliches Herzstück.

Susanne Marquardt (Foto: Borchard)
Susanne Marquardt (Foto: Borchard)

Was genau versteht man unter „Spezieller Schmerzpflege“?
Es handelt sich um eine anerkannte pflegerische Weiterbildung, die sich gezielt mit akutem wie chronischem Schmerz beschäftigt. Man erwirbt Kompetenzen, um Schmerzen strukturiert zu erfassen, pflegerische Interventionen einzuleiten und Therapien zu begleiten. Ganz wichtig ist dabei die interprofessionelle Zusammenarbeit, denn Schmerztherapie ist immer Teamwork. Pflegefachpersonen, Ärzt:innen, Psycholog:innen, Physio- und Ergotherapeut:innen – alle arbeiten zusammen, um Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Keine Disziplin kann das allein leisten.

Wie sieht die Arbeit einer Schmerzexpertin im Alltag aus?
Das ist ganz unterschiedlich. Im Akutschmerzbereich arbeiten viele Kliniken mit Schmerzdiensten, die ärztlich und pflegerisch besetzt sind und gemeinsam Visiten durchführen. In der Therapie chronischer Schmerzen ist das Team oft noch breiter aufgestellt – mit Psycholog:innen, Physio- und Ergotherapeut:innen und natürlich der Pflege. Ich selbst habe in einer universitären Schmerzambulanz gearbeitet und dort auch eigenständig Patient:innen betreut, zum Beispiel mit Verfahren wie Transkutaner Elektrischer Nervenstimulation, Spiegeltherapie oder Biofeedback. Wichtig ist immer, verschiedene Therapieverfahren miteinander zu kombinieren und bei akuten Schmerzen frühzeitig anzusetzen, damit Schmerzen erst gar nicht chronifizieren können.

Hat sich in den letzten Jahren das Bewusstsein für Schmerz verändert?
Ja, absolut. Früher wurde Schmerz manchmal verharmlost und nicht immer ernst genommen. Heute wissen wir: Jeder Mensch, der Schmerzen äußert, hat Schmerzen. Punkt. Unsere Aufgabe ist es, diese wahrzunehmen, einzuschätzen und zu behandeln. 2009 wurde chronischer Schmerz erstmals als eigenständiges Krankheitsbild in die ICD-10 Klassifikation aufgenommen. Das hat sehr geholfen, das Thema stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
In den letzten 20 Jahren wurde viel erreicht, aber es gibt noch Lücken. Oft fehlt es an klaren Strukturen, wer welche Rolle im interprofessionellen Team übernimmt. Auch in der pflegerischen Ausbildung könnten Schmerzmanagement und Schmerzerfassung noch stärker verankert sein. Idealerweise sollte es in jeder Einrichtung Pflegefachpersonen mit spezieller Schmerzexpertise geben – nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in der Langzeitpflege und der ambulanten Versorgung. Gerade dort werden wir in Zukunft große Versorgungslücken sehen, weil viele niedergelassene ärztliche Schmerztherapeut:innen in Rente gehen.

Welche Rolle spielt die Pflege im Schmerzmanagement?
Pflegefachpersonen übernehmen zentrale Aufgaben: Schmerzen systematisch zu screenen, zu beurteilen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Das reicht vom Einsatz des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ über die tägliche Schmerzerfassung, die Edukation bzw. Schulung der Patient:innen, bis hin zu konkreten Interventionen. Wichtig ist, Patient:innen nicht allein zu lassen, gerade wenn sie stärkste Schmerzen erleben.

Sie haben von „Edukation“ gesprochen – warum ist sie so wichtig?
Weil Schmerzen oft hilflos machen. Vielen Menschen gibt es Sicherheit, wenn wir erklären, wie Schmerz entsteht, welche Faktoren ihn beeinflussen und was sie selbst tun können. Gerade bei chronischen Schmerzen ist ein ganzheitliches Verständnis nach dem biopsychosozialen Modell wichtig: Neben biologischen Ursachen spielen psychische und soziale Faktoren eine große Rolle. Wer beispielsweise seit Jahren Rückenschmerzen hat, bewegt sich weniger, verliert soziale Kontakte, kann vielleicht nicht mehr arbeiten – das verstärkt den Schmerz zusätzlich. Wenn Betroffene diesen Kreislauf verstehen, können sie selbstwirksam handeln: Selbstmanagementkompetenzen erwerben, Bewegung trotz Schmerzen wagen, ergänzende Verfahren ausprobieren. Das ist oft der erste Schritt, um aus der Passivität herauszukommen und das Schmerzerleben positiv zu beeinflussen.

Sie engagieren sich in der Fachgruppe Schmerz des DBfK. Was passiert dort?
Wir sind eine Gruppe von Pflegefachpersonen mit verschiedenen Qualifikationsniveaus und Fähigkeiten aus ganz unterschiedlichen Einrichtungen. Uns verbindet die Leidenschaft für ein gutes Schmerzmanagement. In der Fachgruppe tauschen wir uns aus, unterstützen einander und entwickeln Positionen und Materialien – zum Beispiel die aktuellen Broschüren über „Wohltuende Maßnahmen bei Schmerzen“. Und wir freuen uns sehr, wenn neue Kolleg:innen dazukommen, die ihre Expertise einbringen möchten.

Haben Sie einen Tipp für Pflegefachpersonen, die noch keine spezielle Weiterbildung haben?
Mein wichtigster Tipp: Schmerzen niemals übergehen. Wenn ein Mensch Schmerzen äußert, dann hat er Schmerzen. Ernst nehmen, zuhören, gemeinsam nach Lösungen suchen. Und immer wieder nachfragen, ob Schmerzen vorhanden sind und eine Maßnahme geholfen hat. Schon kleine Interventionen können viel bewirken – und oft macht genau das den Unterschied.

Interessante Veröffentlichungen:

Curriculum zum Pflegerischen Schmerzmanagement 

Wohltuende Maßnahmen bei Schmerzen für Kinder und Jugendliche

Wohltuende Maßnahmen bei Schmerzen für Erwachsene


Bei Interesse an einer Mitarbeit in der Fachgruppe Schmerz kannst du dich an dbfkdbfkd wenden.

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